Auf unibrennt.at soll mensch sich ein gutes Bild aus erster Hand darüber machen können, was unibrennt war. Dazu werden wir das digitale Archiv übersichtlich aufarbeiten und hier zur Verfügung stellen, systematisiert von grundlegender „Einführung“ bis hin zu herunterladbaren umfangreichen Datenpaketen diverser Provinienz.
Diese Übersicht und Systematik ist noch aufzubauen, einführende Seiten sind noch zu schreiben. Bis dahin soll der untenstehende Text Auskunft darüber geben, was wir mit „digitales Erbe von unibrennt“ meinen:
einreichung prix ars electronica – kategorie ‚digital communities‘
(eingereicht am 17.3.2010)
1. projektbeschreibung (2.996 Zeichen)
Mit unibrennt wird kein Projekt einer ,digital community‘ eingereicht sondern ein Ereignis. Diese Vorbemerkung liegt insofern nahe, als es sich hier nicht um eine Projektbeschreibung handeln kann sondern um eine Ereignisbeschreibung.
Beginnend mit dem 22.10.09 ist etwas explodiert, das sich binnen kürzester Zeit zu etwas noch nie dagewesenen entwickelt hat. Es war zu keinem Zeitpunk ein geplantes oder planbares Projekt. Was sich in den folgenden Tagen und Wochen in selbstorganisiertem Chaos herausgebildet hat, kann adäquat als Emergenz einer neuen sozialen Bewegung verstanden werden.
Der Ereignisbegriff vs. dem Projektbegriff markiert ein grundlegendes Charakteristikum des Phänomens unibrennt. Der Beurteilung des Phänomens dienlich ist, sich die Unterschiede des spontanen Ereignisses mit dem üblicheren Regelfall z.B. eines Start-Up Projekts vor Augen zu halten.
Ohne den Einsatz von Projektmanagement und die Abfolge gesteuerter Projektphasen, ohne die Formulierung der (Geschäfts-)Idee und Vision, die Festlegung von Zielen, Maßnahmen und Aufgaben, ohne den Einsatz von Projektbudgets und Professionisten ist die Bewegung unibrennt binnen Stunden entstanden, binnen Tagen explodiert und hat binnen weniger Wochen eine Infrastruktur, Organisationskapazität und Beteiligung, einen Vernetzungsgrad und ein Archiv aufgebaut, wie das viele erfolgreiche Projekte in Jahren nicht erreichen.
Bis heute ist schwer zu fassen, was unibrennt (alles) ist. Konsens besteht darüber, dass es sich um eine Protestbewegung handelt. Unbestritten ist, dass wir es mit einer außerparlamentarischen Form der Selbstorganisation zu tun haben und mit der politischen Manifestation eines ,brennenden‘ gesellschaftspolitischen Interessenskonflikts, dem Verständnis von Bildung. Evident ist, dass unibrennt als singuläres Ereignis in die Analen der Zeitgeschichte eingehen wird; aber auch in die fachspezifischen Geschichtsschreibung der Protestbewegungen, die Geschichte der Hochschulreformen und sicherlich in die Analen des web2.0 und der Netzkultur.
Unibrennt ist keine web2.0-Bewegung, kein Protest2.0. Genauso wenig ist unibrennt eine politische Organisation klassischer Facon, die das Potential des Netzes besonders geschickt für die Anliegen zu nutzen weiß. Vielmehr greift alles ineinander: politische Diskussion, digitales Arbeiten und die Selbstverwaltung der Bewegung.
Die Akteure der Bewegung lassen sich nicht trennen in die BesetzerInnen der Hörsäle auf der einen, und in eine als ,digital community‘ arbeitende Gruppe auf der anderen Seite. Zu jedem Zeitpunkt ist die Bewegung ebenso ,digital community‘ wie sie politische Bewegung ist, autonom und selbstverwaltet funktioniert, basisdemokratische Regeln lebt, offen und divers arbeitet.
Die Bewegung ist in diesem Sinne so offen und allgegenwärtig – ubiquitous – wie das WWW selbst. Die ,digital community‘ sorgt so nicht nur für die Allgegenwart des Anliegens „Freie Bildung!“ sondern lebt auch vor, was unter freier Bildung verstanden werden könnte.
2. projektdetails
2.1 projektgeschichte (2.951 Zeichen)
Uni brennt hat am 22.10.09 um 14:00 angefangen. Über den Zeitraum der nächsten 4 Tage explodiert unibrennt in Rasanz. Am 26.10.09 ist die Kunde vom Ereignis bei hunderttausenden Menschen angekommen, die Medienlandschaft teilt sich den gleichen Aufmacher Unibrennt! und zehntausende Menschen sind vor Ort und im Netz involviert.
Die folgenden Wochen sind von schnellem Wachstum und der Ausdifferenzierung nach Innen und Außen geprägt. Nach 3 Wochen wird erstmals vom Flächenbrand gesprochen. Die Bewegung greift in den gesamten deutschsprachigen Raum.
Obwohl unibrennt aus sich selbst heraus emergiert, solle 3 den Boden bereitende Entwicklungen kurz angesprochen werden:
1. Die hochschulpolitische Situation:
Nach Jahren der Hochschulreformen und der neoliberal ausgerichteten Umbauten ist die Situation an den der Universitäten endlich soweit eskaliert, dass das System kollabiert.
2. Der Zeitpunkt der Internetgeschichte:
Die selben Bedingungen, die schon die Wahlkampfbewegung für Obama oder die Proteste im Iran zu neuartigen Ereignissen gemacht haben – zu hybriden Raum, Zeit, Gruppen, Massenmedien und Beteiligungsformen übergreifenden Netzwerken – liefern eine Basis, dass unibrennt von Beginn an auch ,digital community‘ ist.
Die Studierenden sind mit Laptops, Mobiltelefonen, Digicams und mit Benutzerkonten bei web2.0 Plattformen ausgestattet. Viele Beteiligte sind bereits online vernetzt. Sie organisieren den Zusammenschluss ihrer Communities zu größeren Clusterstrukturen und ermöglichen die vielschichtige Kommunikation nach Innen und Außen, die das Momentum aufrecht erhält.
3. Malen-nach-Zahlen:
2 Tage vor Besetzung des Audimax wird die Aula der Akademie der Bildenden Künste in einer inszenierten Aktion besetzt. Die Protestform ist nicht spontan, aber durchdacht und erfolgreich. Die Medien nehmen die Proteste wahr. Am Folgetag wird eine Demo für den 22.10. angemeldet, die den Schwung dieser Aktion mitnehmen soll.
Die Formation der #unibrennt ,digital community‘
Die Demo des 22.10. erreicht gegen 14:00 das Audimax. Es wird die Besetzung beschlossen. Sofort gelangt die Nachrichten über das Netz nach draussen und werden dort weiter verbreitet.
Um 15:00 wird eine Fanpage auf Facebook eingerichtet, die zum bleibenden Brennpunkt der Bewegung mit über 30.000 Fans werden soll. Parallel dazu beginnt im Netz die Öffentlichkeitsarbeit von SympathisantInnen und GegnerInnen, die Foren der neuen und älteren Onlinemedien belebten sich. Solidaritätserklärungen werden auf Webseiten veröffentlicht. Bilder sind auf Facebook und über Twitter zu finden. Hashtags beginnen sich zu etablieren (#audimax, #unibrennt). Die BesetzerInnen publizieren eine erste Erklärung auf einem Blog.
Beim Audimax wird ein Medienzentrum eingerichtet und tageweise professionalisiert. Der Live-Stream wird etabliert, an einer komplexen Homepage gearbeitet, eine eigene Serverstruktur zusammengebastelt, trotz eines riesigen Ansturms die Downtime bei fast null gehalten.
2.2 projektziele (2.987 Zeichen)
Die politischen Forderungen von unibrennt sind klar (bit.ly/unibrennt_forderungen).
Das Ziel der Besetzung ist offensichtlich: (1) auf die dramatische Situation an den Hochschulen aufmerksam zu machen, (2) Druck auf die Hochschulleitungen und die Politik auszuüben und (3) Besetzungen und die Bewegung autonom, selbstbestimmt und nach den Kriterien selbst zu verwalten, die unibrennt sich für Bildung und Universitäten wünscht.
Klassisch können diese Herausforderungen und Ziele mit Öffentlichkeitsarbeit, Organisationsentwicklung und Wissensmanagement beschrieben werden; allerdings selbstorganisiert und offen gelebt.
Die ,digital community‘ unibrennt besteht zum kleinsten Teil aus web2.0 Evangelisten, zu einem geringen Teil aus web2.0 Aficionados und zu einem großen Teil aus engagierten Lern- und Arbeitswilligen. Die Bewegung hat mit ihrem ereignishaften Auftreten Mittel und Wege zu ihrer Selbstorganisation und Weiterentwicklung eingesetzt, die sie vorgefunden hat. Wo eine existierende Organisation die top-down Implementierung von Wikis, Blogs, Feeds und Videokonferenzen Ressourcen- und zeitaufwendig durch Schulung, Druck und Incentives erreichen muss, hat die Bewegung in ungeheurem Tempo kollektiv gelernt.
Emailkörbe werden angelegt und 24 Stunden am Tag kollaborierend betreut. Passwörter werden alle Wochen ausgetauscht. Dokumente werden über Google-Docs und via Wiki organisiert. SMS-Listen sind für den Räumungsnotfall angelegt.
Medienbeobachtung wird in die Cloud ausgelagert, Linklisten für Onlinemedienberichte, ein Flickr-Album mit Zeitungsscans. Presseaussendungen, Forderungskataloge und offene Briefe gehen per Email an die Medien und per Website, Wiki und Links auf den Plattformen an alle. Ein Team aus FotografInnen und VideofilmerInnen sowie der Arbeitsgruppe Livestream dokumentiert Plena, Besetzungen, Demos, Flashmobs und mehr.
Arbeitsgruppen machen Vorhaben und Kontaktdaten im Wiki transparent. In den Arbeitsgruppen sowie in den Plena wird live und via Beamer mitverfolgbar protokolliert. Protokolle, Beschlüsse und Anträge werden ausgesendet und im Wiki gespeichert, von wo sie abrufbar und weiter bearbeitbar sind.
Die Plena sind über Livestream verfolgbar und als Videoaufnahmen archiviert. Interaktive Einschaltungen via Chat, Twitter oder Videokonferenz sind an der Tagesordnung. Die Debatten erstrecken sich in den Raum der Social Networks und werden weitergetragen.
Themen, Termine und Links werden beständig ausgesendet, Ressourcen angefordert und organisiert.
Die ubiquitous cloud unibrennt nutzt für Öffentlichkeitsarbeit, Organisationsentwicklung und Wissensmanagement alle Plattformen, Medientypen und Kommunikationskanäle genauso und nicht anders wie sie die räumlichen Strukturen der besetzten Hörsäle usw. nutzt. Bemerkenswert ist nur die soziale und die Medienkompetenz der Bewegung. Die ubiquitous cloud lernt und schult laufend weiter. Nur so können z.B. Livestreams in allen besetzten Hörsälen im deutschsprachigen Raum zum Standard werden.
2.3 gemachte erfahrungen (3.000 Zeichen)
Die Bedeutung der Selbstorganisation und Selbstverwaltung:
Der selbstorganisierte Aufbau eigener, autonomer Infrastrukturen, Netzwerkknoten und Kommunikationskanäle hat die Bewegung befreit und sich selbstbestimmt entwickeln lassen. Unibrennt ist in der Organisation der Proteste eben gerade nicht auf ein organisatorisches backbone z.B. der Hochschülerschaft, von Parteiorganisationen oder organisierter Gruppen im universitären Feld angewiesen.
Augenhöhe mit dem Massenmediensystem:
Unibrennt ist anderen politischen Organisationen gegenüber vergleichsweise autonomer; unabhängiger vom Massenmediensystem und dem Goodwill der Presse und Redaktionen, unabhängiger von anderen etablierten Organisationseinheiten im Umfeld.
Die ,digital community‘ ist im Stande, viele Menschen zu erreichen, ohne auf die Strukturen der kapitalistischen Medienlandschaft zurückgreifen zu müssen. Sie produziert nicht nur Texte, Bilder, Ton und Filme selbst, sondern hat auch die Kontrolle über Vertriebskanäle und offen zugängliche Archive. Von jeder landing page aus – Website, Wiki, Flickr, unibrennt.tv, YouTube, … – ist das Eindringen in eine reichhaltige und vielseitige Geschichte wahrscheinlich. Die ubiquitous unibrennt cloud verwaltet damit das Erbe der Bewegung selbst. Sie bestimmt federführend mit, wie die Geschichte über unibrennt geschrieben wird.
Die Kultur der Basisdemokratie und Selbstverwaltung:
Herausforderungen werden bewältigt, weil in der außergewöhnlichen Situation der ubiquitous cloud jede Kollaboration über kulturelle, psychologische, politische, sozioökonomische und Altersunterschiede hinweg möglich und sogar selbstverständlich ist. Es herrscht eine Kultur des Vertrauens und des Kontroll- und Statusverzichts. Niemand kann alles oder irgendetwas nur für sich machen. Alle öffnen ihre Ressourcen und Daten. Daraus entsteht in der Situation der Bewegung nicht Risiko sondern Stabilität und Organisationskapazität.
Freie und kritische Bildung ist möglich:
Die kollektive Intelligenz der unibrennt cloud ist beeindruckend. Die ,digital community‘ produziert unique content; und das laufend, in großer Menge und Qualität und gleichzeitig in allen Räumen der ubiquitous cloud. Die Bewegung ist ein Player im Netz, in Hörsälen und auf der Straße. Es wird kritische Lehre, Weiterbildung, Selbstversorgung und ein kulturelles Programm auf die Beine gestellt, um das renommierte Festivals die Bewegung beneiden. Die in der Bewegung Aktiven, ob Studierende oder SympathiesantInnen lernen in einer kurzen, dichten Zeitspanne wohl mehr als in einem Studienabschnitt.
Widerstand und Subversion sind möglich und notwendig:
Die Bewegung hat ein Gegenmodell zur Sachzwangwelt aufgestellt und bewiesen, was möglich wäre und ist. Sie hat hinter die Kulissen der Massenmedienwelt und der Politik geschaut und weiß, dass gegen diese Systemlogiken Widerstand eine Tugend darstellt. Sie war für Wochen und Monate ein Player, den die etablierten Größen in Politik, Verwaltung und Mediensystem ernst nehmen mussten.
2.4 statement of reasons (2.672 Zeichen)
Mit der Emergenz von unibrennt ist etwas auf den Plan getreten, das das Leben vieler Menschen verändert hat. Das Ereignis unibrennt wird die Form und den Erfolg zukünftiger Protestbewegungen beeinflussen. Schon jetzt leitet das Fallbeispiel der Bewegung NGO‘s an, wie sie ,digital communities‘ mit Livestreams versorgen, durch die vielfältige Verschränkung von Aktivitäten auf der Straße, in Konferenzsälen und im Netz gewinnen kann und durch die Einbindung über Plattformen und Wikis mitarbeiten lassen kann.
Die Bewegung und die ubiquitous cloud unibrennt hat alles, was aufgebaut und geschafft wurde, ohne Geldmittel, ohne Vollzeitkräfte und ohne SpezialistInnen zusammengebracht. Vor dem Hintergrund des gemeinsamen Ziels der Selbstorganisation und der Notwendigkeit der organisatorischen und politischen Schlagkraft haben sich alle Personen gleichrangig eingebracht. Ihre Kompetenzen und Ressourcen wurden und werden als gleichrangig angesehen. Nur so ist zu erklären, dass aus ausschließlich privaten Geräten, Medienzentren, Livestreams, Server und Homepages gebaut werden, genauso wie Volksküchen organisiert, Erste Hilfe-Stationen und Reinigungstrupps ausgerüstet werden. Nur so ist zu erklären, dass alle diese und viele andere Funktionen und Knotenpunkte 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche und Woche für Woche besetzt sind; besetzt von Studierenden, die daneben ihr Studium weiter betreiben, von LektorInnen, die daneben ihre Lehre und ihre Arbeit weiter machen müssen.
Eine Bewegung wie unibrennt ist nicht nur ein singuläres, also statistisch hoch unwahrscheinliches Ereignis. Im Verlaufe der Bewegung gibt es auch immer wieder Momente, Situationen und Dynamiken, die das Aufrecht Erhalten der Bewegung statistisch gesehen unwahrscheinlich machen. Sehr viel muss passieren und funktionieren, damit eine ubiquitous cloud entsteht und lebt. Es sind diese Momente, in denen das Netz notwendig funktionieren und die riskanten Momente überwinden muss.
Dieses Netz von unibrennt besteht aus Menschen und Gruppen, besetzten Hörsälen und privaten Räumen, aus Mobiltelefonen und Laptops, aus Arbeitsteilung und Zusammenarbeit, aus Facebook-Fanpages und Skype-Konferenzen, aus Wikis und internationalen Emailverteilern; es spannt sich vom Serverraum an der Uni Wien über selbst gehostete Blogs zu Straßenaktionen in Kiel und einer Volksküche in München, einem Vernetzungtreffen in Graz und einer Plakataktion in Basel. Die Verbindung ist in vielen Fällen die Zugehörigkeit zur Bewegung, die Verbindung läuft über das WWW, die Abstimmung passiert in der Cloud.
Archiviert ist das alles im Netz, selbstverständlich offen zugänglich und für Nutzung und Weiterbearbeitung frei.